MENSCHEN

Über die Gemeinschaft hinaus: Zipeng Zhu über eine gewagtere, buntere Pride

Der in New York ansässige Künstler über das Übermitteln bedeutungsvoller Botschaften, anschaulich verpackt, und über die Wichtigkeit einer herausfordernden Pride.

Zipeng trägt ein T-shirt von COS.

Künstler und Creative Director Zipeng Zhu (er/ihm) hat der schillernden Performance von Richard Gere im Film Chicago viel zu verdanken. Die legendäre Interpretation des Lieds Razzle Dazzle war für den kreativen Kopf, der in New York lebt, ein Aha-Moment. „Als ich das sah, habe ich meinen Leitspruch sofort in „Ich möchte jeden Tag als Razzle Dazzle Musical gestalten“ umgeändert. Für Zhu geht dieser schimmernde, strahlende Ethos weit über seine staunenerregende Bilderwelt hinaus. „Ich versuche, das nicht nur mit meiner Arbeit, sondern auch mit meinem Kleidungsstil und der Art wie ich rede zu verkörpern. Ich möchte einfach Musikalität und Glanz zum Leben erwecken.“

Zhu ist einer der drei kreativen Köpfe, die der COS Pride-Kollektion ihre eigene einzigartige Ästhetik verliehen haben. Für ihn haben die Feierlichkeiten kürzlich eine neue Bedeutung erhalten. „Für mich war die Pride immer ein Weg für uns, Liebe zum Ausdruck zu bringen. Dies hat sich jedoch etwas geändert. Ich habe das Gefühl, dass sich die Pride in den letzten Jahren weniger um uns dreht, sondern mehr um die Leute, die gegen uns sind. Wir sind hier um ihnen zu sagen, dass wir so bleiben, wie wir sind, das ist es was wir tun und warum wir uns lieben.“

„Mit meiner Arbeit möchte ich Sonne in das Leben der Menschen bringen.”

Dazzle, sein Multiplattform-Kreativstudio, möchte überall eine leuchtendere Vision verbreiten und kann bekannte Namen wie die New York Times und Apple zu seinen Klienten zählen. Die Arbeiten sind in der ganzen Welt zu bestaunen, von Barcelona bis Mumbai. Die größte Errungenschaft von Zhu ergab sich bei einer Fahrt mit der U-Bahn von seiner Heimat Williamsburg, als seine einfache, starke Nachricht für die Kampagne Stop Asian Hate über die Bildschirme des Times Square flimmerte. „Ich habe mich als Mensch so viel nützlicher gefühlt, ich konnte etwas für meine Gemeinschaft tun, war Teil einer Bewegung und konnte etwas dazu beitragen. Ich denke, dass jeder etwas tun kann. Für mich ist es dasselbe wie meine Arbeit rund um Transrechte, Schwulenrechte, Immigrantenrechte, all so etwas.”

Ironischer Humor und üppige Farben definieren seine Arbeiten, ein Blick auf seinen beliebten Instagram-Account enthüllt jedoch die politischen Seitenhiebe hinter den verspielten Grafiken. Zhus Fähigkeit, eine bedeutungsvolle Botschaft zu übermitteln, die attraktiv verpackt ist, macht ihn zu einem Einflussnehmer, mit dem man rechnen sollte. „Unsere Spezies liebt schillernde Dinge. Wie wäre es also, wenn ich einige der Probleme, die mir am Herzen liegen, in Dinge verpacke, die sich Menschen gerne anschauen.”

ÜBER DESIGNVORBILDER
„Als Kind hatte ich keine Designvorbilder, keine Referenzen oder Kontakte. Paula Scher, meine Chefin bei Pentagram und eine absolute Designlegende, war mein erstes Vorbild, sie war mein Polarstern. Und natürlich die fantastische Autorin Debbie Millman, sie war meine Professorin an der SVA. Ich schätze mich so glücklich und von den Designgöttern gesegnet. Ich versuche jedoch, mich nicht nur auf Einflüsse des Grafikdesigns zu beschränken. Keith Haring, Yayoi Kusama, David Hockney und Ellsworth Kelly sind ein großer Teil meines Lebens. Alles, was sie erschaffen haben, war so bahnbrechend, so genial, sie haben mir etwas gegeben, nach dem ich streben konnte.“

ÜBER ETHOS
„Hier bei Dazzle gibt es drei Wörter, von denen wir uns leiten lassen: bunt, beharrlich und lebhaft. Kleiner Fakt am Rande, mein Name Zipeng bedeutet lebhaftes Kind – ich versuche immer, meinem Namen alle Ehre zu machen.“

ÜBER AKTIVISMUS
„Der Herkunftsgeschichte meiner Arbeit als Aktivist liegt die Tatsache zugrunde, dass ich hier ein Immigrant bin. Ich kann nicht wählen, ich kann nicht wirklich etwas machen, außer mit durch meine Arbeit Gehör zu verschaffen. Ich bin ein visueller Kommunikator, wenn ich also eine Botschaft nicht vermitteln kann, mache ich meinen Job nicht richtig. Seit dem Wahlzyklus 2016 hatte ich das Bedürfnis, meine Nachrichten mit Comedy zu beschönigen, die Schlagzeilen sind teilweise einfach zu brutal. Ich habe erst kürzlich einen Post gegen das „Don´t Say Gay“-Gesetz in Florida erstellt. Meine Idee „SAY GAY ALL DAY“ fand ich sehr clever – sie war einprägsam, geistreich und zugleich wunderschön. Ich war sehr stolz darauf.“

„Ich habe das Gefühl, dass es in den letzten Jahren bei der Pride darum ging, ein Gefühl von „das ist es, was wir tun und deshalb lieben wir einander” auszudrücken.”

ÜBER ANFÄNGE
„Ich bin in China geboren und aufgewachsen Lustigerweise habe ich vor dem Teenageralter nichts mit kreativen Dingen zu tun gehabt. Mein Vater war Maler, ein erfolgloser Maler, also fand er, dieser Weg sei eine schlechte Idee. Bis zur Mittelschule war ich nie mit Kunst in Kontakt gekommen, zu dieser Zeit hatte ich jedoch eine Obsession mit japanischen Mangas. Ich wollte unbedingt Mangakünstler werden, also zeichnete und zeichnete und zeichnete ich. Wie sich herausstellte, gelang mir dies eher weniger gut, ich hatte absolut kein Talent fürs Zeichnen. Ich lernte währenddessen jedoch, wie man mit Photoshop umgeht, und so konnte ich auch meinen Freunden helfen, ihre Fotos zu bearbeiten, entwarf meine eigenen Poster und solche Dinge. Einer meiner Kunstlehrer schlug vor, dass ich mich mit Grafikdesign beschäftigen sollte, aber zu dieser Zeit wollte ich unbedingt Biochemie studieren. Ich hatte einen riesigen Streit mit meinen Eltern, aber als Einzelkind gewann ich diesen Kampf. Also zog ich 2009 in die Vereinigten Staaten, ging zur School of Visual Arts in New York und der Rest ist Geschichte."

ÜBER FARBE & DAZZLE
„Die Farbe, die Lebendigkeit, die Verwegenheit – an der Kunsthochschule war all das ein großer Teil meiner Arbeit. Jeder in New York trug nur Schwarz, was ich als sehr langweilig empfand. Zudem sind die Winter hier brutal. Ich kam von einer tropischen Insel hierher und wollte etwas erschaffen, das heiter, warm und liebevoll ist. Mit meiner Arbeit wollte ich Sonne in das Leben der Menschen bringen.“

ÜBER SEINEN ALLEINGANG
„Die Entscheidungen in meinem Leben treffe ich instinktiv: All die großen Entscheidungen, die ich getroffen habe, habe ich meinem Bauchgefühl zu verdanken. Einmal saß ich an meinem Tisch, damals habe ich bei Sagmeister & Walsh gearbeitet, und hatte einen Gedankenblitz. Ich realisierte, dass ich wie ein Schwamm gewesen war, so viel aufgesaugt hatte, aber jetzt war es Zeit, einige der Dinge, die ich gelernt hatte, loszulassen, weiterzuziehen und noch mehr zu lernen.“

ÜBER GEMEINSCHAFT
„Gemeinschaft ist inklusiv, kann manchmal aber auch ausgrenzen. Wenn man über sehr spezifische Themen spricht, verärgert man teilweise andere Gruppen. Ich versuche daher, immer das große Ganze zu sehen. Ich tue mein Bestes, um mich weiterzubilden, erledige meinen Teil der Aufgaben, um alles bewusster wahrzunehmen. Es gibt so viele Auseinandersetzungen da draußen und ich möchte effektiv sein.“

ÜBER DIE ERSTE PRIDE
„Die erste New York Pride war cool, ich hatte gerade das College beendet, es war ein sehr heißer Sommertag, ich habe meine Freunde auf dem NBC-Wagen unterstützt, diese riesige muskelbepackte Königin. Ich war mit all meinen heterosexuellen Freunden dort, was für mich wirklich toll war, da wir zusammen feiern konnten, sie haben sogar noch härter gefeiert als ich. Das liebe ich an meiner Stadt, diese geteilte Liebe und Wertschätzung.“

ÜBER PRIDE HEUTE
„Für mich geht es um Ausdruck, nicht nur von Liebe, sondern auch Selbstakzeptanz, ein Teil der Gemeinschaft zu sein. Für eine lange Zeit war ich dem Wort „queer“ gegenüber sehr resistent. Dann auf einmal habe ich es verstanden, ich dachte mir okay, ich begreife, dass wir diese Definition brauchen, das Wort homosexuell schließt nicht mehr alle ein. Das meine ich, wenn ich über Gemeinschaft rede. Wir brauchen eine umfassendere Bezeichnung, um mehr Menschen einzubeziehen.

Seit Beginn der Pandemie hat Pride eine neue Bedeutung erhalten. Ich glaube, meine Arbeit an der Pride ist deshalb im Laufe der letzten Jahre besser geworden. Als die Pride nicht stattfand, hatte ich etwas, auf das ich mich freuen konnte, jetzt denke ich, es wird ein toller Sommer werden, ich bin bereit.“

ÜBER INSPIRATION IN NEW YORK
„Letztens habe ich eine Entscheidung getroffen, dass ich auf Gedeih und Verderb New York sein möchte. Es ist eine dieser Städte, in denen ich draußen spazieren gehen und mir an jeder Ecke Inspiration holen kann. Ich lebe in einer chassidischen und spanischen Gegend in South Williamsburg. Was ich daran so cool finde sind die hispanischen Feinkostläden und Weinkeller und all die wunderschönen Verpackungen und Typografien in den mexikanischen Geschäften, einfach inspirierend. In den Geschäften einen Häuserblock weiter findet man hebräische Typografie, eine so einzigartige, wunderschön strukturierte Sprache. New York macht all das möglich, hier bekommt man eine Fülle an Inspirationen und kann diese lebhaften Kulturen genießen, die so anders sind als das, mit dem ich aufgewachsen bin, mein kreatives Gehirn wird so unterbewusst befriedigt.

Ich hatte die Ehre, an einem anderen Projekt mit dem Times Square zu arbeiten, das „NY loves you“ hieß anstatt „I love NY“. Ich finde, dass die Stadt, die wir lieben, uns mehr Liebe zurückgibt, als wir denken. In den vergangenen zwei Jahren habe ich das wirklich mitbekommen.“

„Unsere Spezies liebt schillernde Dinge, weshalb ich einige der Probleme, die mir am Herzen liegen, in Dinge verpacke, die sich Menschen gerne anschauen.”

ÜBER MODE
„Der Grund, warum ich nach New York gekommen bin, waren zwei Fernsehsendungen, Project Runway und Gossip Girl, so albern war ich. Als ich ankam, habe ich realisiert, dass Klamotten laufende Reklamewerbungen für Menschen sind. Ich kann mit meinem Outfit zeigen, wer ich bin, ich brauche mich nicht extra vorzustellen. Wenn ich hier die Straßen entlanglaufe, fühle ich mich in manchen Momenten so mächtig. Ich fühle mich wie Samantha in Sex and the City, trete mit all meiner Kraft auf den Beton auf.

Mode hat jetzt einen anderen Platz eingenommen, nicht nur wegen der Entwicklungen rund um das Thema Nachhaltigkeit. Es fühlt sich auch zum ersten Mal so an, als würden sich alle dafür interessieren, wie sie wahrgenommen werden. Das Internet hat eine Fülle von Innovationen hervorgebracht, die ich faszinierend finde. In New York macht man sich gegenseitig Komplimente; wenn man etwas gut macht, bekommt man es gesagt, das liebe ich einfach. Meine Theorie ist diese: Jedes Kompliment, das man für sein Outfit bekommt, fühlt sich an, als bekommt man 20 Dollar zurück.“

ÜBER DEN ENTWURF FÜR COS
„Ich konnte es nicht glauben, als ich die E-Mail von COS erhielt, ich habe eine Minute lang in mein Kissen geschrien. Ich bin ein großer Fan. Ich finde es toll, dass alle drei Künstler und Künstlerinnen einen anderen Ansatz haben, wie sie das Projekt umsetzen.

Bezüglich des Designs habe ich darüber nachgedacht, wie ich etwas mit Schrift illustrieren könnte. Ich musste etwas übermitteln, nicht nur ein Wort, sondern auch seine Bedeutung. Ich habe mich dafür entschieden, mit Smileys zu arbeiten, aber sie mussten eine stärkere Wirkung erzielen, da ich ein Monogramm daraus machen wollte, und ein Monogramm muss ein Statement sein, es muss präzise, prägnant und kraftvoll sein, sodass Menschen, die es von Weitem sehen, interessiert sind und sich denken: „Hah, ich verstehe“, wenn sie näher kommen. Zusammen mit dem Team haben wir uns für eine Stickerei entschieden, dank derer wir all die Farben der Flagge verwenden konnten, die ich liebe. Ich möchte den Menschen ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubern, wenn sie es sehen. Das ist alles.“

SCHNELLFRAGERUNDE

Was ist das letzte Buch, das Sie gelesen haben?
„Es war ein Graphic Novel, Going into Town: A Love Letter to New York von Roz Chast.’

Wenn Sie morgen in ein Flugzeug steigen könnten, wohin würden Sie fliegen?
„Das klingt vielleicht sentimental, aber ich würde meine Eltern in China besuchen, ich habe sie seit Jahren nicht gesehen. Ich vermisse meine Mutter.“

Ohne welches Album, könnten Sie nicht leben?
„Das erste Album von Adele, 19. Daydreamer ist mein Lieblingslied.“

Was ist Ihr wertvollster Besitz?
„Ich habe ein paar, aber wenn ich wählen müsste, wäre es eine Decke, die mir meine Mutter gegeben hat.“

Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
„Großzügig.“


Text von Lena Dystant
Fotos von Collier Schorr 
Styling von Esther Matilla

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COS präsentiert „And that's okay", ein Gedicht, das Kai-Isaiah Jamal eigens für die Pride-Kollektion geschrieben hat.


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