MENSCHEN
Greta Lee über das Schreiben ihrer eigenen Geschichte
„Es reicht nicht aus, nur repräsentiert zu werden. Es gibt noch viel zu tun.“
Die Schauspielerin und Schriftstellerin spricht über Repräsentation, sich wie eine Tänzerin zu kleiden und LA lieben zu lernen.
Nachdem sie 17 Jahre in New York verbracht hat, zog Greta Lee (sie/ihr) vor Kurzem wieder in ihre Heimat Los Angeles. So ganz glücklich ist sie damit allerdings nicht. „Ich bin mir immer noch unsicher“, erklärt sie. „Ich möchte kein Pauschalurteil über beide Städte abgeben. Aber ich bevorzuge New York.“
„Ich bin in LA aufgewachsen, verknüpfe also viele Erinnerungen mit der Stadt“, erzählt sie weiter. „Es war eine sehr merkwürdige Erfahrung, an einen Ort zu ziehen, der einem sowohl sehr vertraut als auch sehr fremd ist. Man muss sich nicht nur wegen COVID-19 wieder neu an alles gewöhnen, die Stadt gibt auch einen ganz anderen Takt vor.“ Nach der Übergangszeit, die die ganze Welt in den letzten Jahren erlebt hat, vermisst die Schauspielerin und Schriftstellerin die Lebendigkeit, die verschiedenen Menschen, das dramatische saisonale Wetter, das sie in ihrer Wahlheimat erlebt hat – all diese Dinge haben sie zu der Schauspielerin gemacht, die sie jetzt ist: Witzig, frech, angesehen. Immer echt.
Sie ist dafür bekannt, sich ihre Rollen – darunter jene in Produktionen wie den preisgekrönten Serien Matrjoschka und The Morning Show – zu eigen zu machen, ihnen eine umfassende Hintergrundgeschichte zu geben, voller Nuancen, Komplexität und Authentizität. Als sie Schwierigkeiten hatte, asiatisch-amerikanische Rollen zu finden, in denen sie vollständig aufgehen konnte, schrieb Greta sie einfach selbst. Dies ermöglichte es ihr und anderen Menschen, die in ihre Fußstapfen treten, die Geschichten selbst zu erzählen und zu verkörpern. In einer Branche, die gerade erst damit begonnen hat, sich ihren Defiziten im Bereich Gleichstellung zu stellen, ist Greta Lee durch ihren Erfahrungsschatz zu einer treibenden Kraft hinter den positiven Veränderungen geworden.
Wir haben uns mit ihr über die kreative Bürde der BIPOC (Black, Indigenous, and people of colour, zu Deutsch Schwarze, Indigene und People of Colour) Künstler und Künstlerinnen, die Wunder des Wetters in LA, die kleinen Veränderungen, die sie nach der COVID-19-Pandemie eingeführt hat und die Schaffung eines Lebens, das „ein bisschen ganzheitlicher“ ist, unterhalten.
„Ohne Frage hat sich die Branche verändert. Aber Repräsentation ist nicht gleichzusetzen mit Gerechtigkeit, mit Gleichberechtigung. Es reicht nicht aus, nur repräsentiert zu werden. Es gibt noch so viel zu tun.“
ÜBER DIE ROLLE VON STÄDTEN BEI DER ERSCHAFFUNG VON KUNST
„Es gibt diese Vorstellung, dass Künstler eine isolierte Einheit sind, losgelöst, alle arbeiten in ihrem eigenen Kokon. Ich habe jedoch herausgefunden, dass dies in keinster Weise der Wahrheit entspricht. Um mich künstlerisch zu entfalten und mein künstlerisches Innenleben anzuregen treffe ich Menschen, viele verschiedene Arten von Menschen. Das Wundervolle an einer Stadt wie New York ist diese Lebendigkeit des Lebens, die einem stets zur Verfügung steht. Hier habe ich dies für selbstverständlich gehalten, aber in Los Angeles muss ich etwas mehr danach suchen. Man kann sich hier ziemlich isoliert fühlen – was jedoch auch einige Vorteile bietet. Wer weiß, vielleicht zeigt mir das isoliertere Arbeiten neue kreative Wege auf. Ich bin bereit, ich bin offen dafür. Ich bin sehr vorsichtig optimistisch.“
ÜBER DIE ROLLEN, DIE SIE SICH AUSSUCHT
„Die Rollen, die herausstechen, finde ich ohne Probleme. Beim ersten Lesen weiß man sofort, ob man genug erfährt, um den Charakter tiefgründig zu erforschen. Ich hatte Glück, dass ich meine eigenen Gedanken einbringen konnte, wie man diese Rolle so gestalten kann, dass sie in jeder Situation echt wirken. Das fühlt sich zufriedenstellend an – man kann den Eigenschaften bestimmter Menschen, die vorher abgelehnt oder als unerwünscht erachtet wurden, Respekt entgegenbringen. Ich habe schon immer gerne diese Eigenheiten ausgegraben. In erster Linie bin ich Schauspielerin, ich versuche jedoch auch, dieses Einfühlungsvermögen in meine Arbeit als Schriftstellerin mit einfließen zu lassen. Die meisten Dinge, die ich schreibe, sind charakterbasiert und stammen aus meiner Erfahrung als Schauspielerin und dem Lesen so vieler Drehbücher.“
ÜBER DIE NEGATIVE AUSWIRKUNG VON RASSISTISCHER UNGLEICHHEIT AUF KREATIVITÄT
„Ich habe mich erst kürzlich mit einem jungen Menschen asiatisch-amerikanischer Abstammung über dessen Erfahrungen unterhalten. Dadurch habe ich erste realisiert, wie viele Möglichkeiten es heutzutage gibt. Bin ich der Meinung, das würde reichen? Nein. Ich denke immer noch, dass noch ein ziemlich weiter Weg vor uns liegt. Ich versuche einen Weg zu finden, nicht nur damit zu arbeiten, sondern ohne die konstante Last der rassistischen Ungerechtigkeit und Ungleichheit des Systems zu leben. Diese ist zweifellos gegeben, das im Hinterkopf zu haben ist leider nicht unbedingt förderlich für Kunst und Kreativität. People of Color in dieser Industrie macht jener Konflikt verrückt.“
ÜBER DEN UNTERSCHIED ZWISCHEN REPRÄSENTATION UND GLEICHBERECHTIGUNG
„Ohne Frage hat sich die Branche verändert. Menschen fühlen sich mehr willkommen. Als ich anfing, in der Branche zu arbeiten, konnte ich die Anzahl der Menschen, die aussahen wie ich, an einer Hand abzählen. Diese Diskussion führe ich andauernd mit meinen Kollegen und Kolleginnen: Repräsentation ist nicht gleichzusetzen mit Gerechtigkeit, mit Gleichberechtigung. Es reicht nicht aus, nur repräsentiert zu werden. Es reicht nicht aus, nach seiner Meinung gefragt zu werden. Es gibt noch viel zu tun. Ich denke,an diesem Punkt bin ich gerade. Ich versuche ständig herauszufinden,wie ich mein Dasein als Mensch und als Künstlerin in Einklang bringen und mich dabei für mehr Fairness einsetzen kann. Leider ist es manchmal sogar eine Frage des Anstandes, der Freundlichkeit. Diese Bereiche werden in Hollywood immer noch vernachlässigt, egal, ob man eine Person of Colour, eine Frau oder eine Mutter ist. Es gibt so viel Verbesserungspotenzial.“
„Ich habe schon immer gerne diese Eigenheiten ausgegraben.“
ÜBER IHREN PERSÖNLICHEN STIL
„Ich habe mich immer sehr von modernen Tänzerinnen wie Twyla Tharp oder Martha Graham beeinflussen lassen. Diese Frauen, diese Künstlerinnen, die eins mit ihrem Körper sind, ich liebe es einfach, wie sie sich kleiden. Dieses Bewusstsein für den eigenen Körper. Diese Vorstellung, dass man allgemein zugängliche Kleidung tragen kann – im Wesentlichen eine Hose und ein T-Shirt – und diese mit einer Sportlichkeit, die man oftmals mit Männern assoziiert, und der Anmut und fließenden Ästhetik dieser Tänzerinnen vermischt – das hat mir schon immer sehr gefallen. Ich trage gerne ein Hemd oder ein eng anliegendes Trikot mit einem weiten Mantel darüber, dazu eine Hose und markante Sneakers. Mein Mann macht sich immer darüber lustig, dass ich aussehe, als wäre ich bereit für einen Einsatz, wie eine Geheimagentin der CIA. Ich liebe diese Ästhetik, dieses Bild einer starken Frau, die bereit ist, loszulegen.“
ÜBER DAS PROBLEM MIT SCHÖNEM WETTER
„In New York gibt es Jahreszeiten, die sich sehr voneinander unterscheiden. Sie haben einen Einfluss auf Ihren Rhythmus, Ihr Leben, die Art und Weise, wie Sie sich kleiden. Der Beginn und das Ende der Jahreszeiten sind klar abgegrenzt. In Los Angeles ist es immer schön und sonnig. Das Wetter hier ist jeden Tag fast perfekt. Ich finde, dass dieser andauernde Sonnenschein merkwürdige Auswirkungen auf die Kreativität hat. Ich vermisse diese Übergänge. Ich vermisse Jahreszeiten! Gerade habe ich das Gefühl, ich wäre Teil der Truman Show in Kalifornien. Ich bin misstrauisch. Wie kann das Wetter wieder so schön sein?“
ÜBER IHRE RITUALE ZUHAUSE
„Ich lebe im Osten von LA. Deshalb kann ich dieses furchtbar schöne, perfekte Wetter wunderbar ausnutzen. Ich habe angefangen, meine eigenen Lebensmittel anzubauen. In unserer Nähe gibt es einen Obsthain mit Bäumen, an denen Datteln, Avocados, Granatäpfel, Nashi-Birnen und verschiedene Zitrusfrüchte wachsen sowie Gemüsebeete angelegt sind. Ziegen haben wir uns aber noch nicht zugelegt. Unsere täglichen Rituale sind dem Gärtnern und Pflegen dieser Pflanzen gewidmet. Wir versuchen, darauf zu achten Wasser zu sparen, da es hier in LA oft zu Dürreperioden kommt. Außerdem haben wir in unserem Zuhause Eichenbäume gepflanzt, die man sonst an der Küste findet. Um sie nachhaltiger anzubauen, pflanzt man keine riesigen Bäume, sondern kleine Setzlinge. Allerdings wachsen diese so langsam, dass ich von Glück reden kann, wenn ich noch am Leben bin, wenn sie ausgewachsen sind. Sobald man dies akzeptiert, findet man sich mit der Langsamkeit der Zeit ab. Ich schaue mir all diese Bäume an und muss akzeptieren, dass sie langsam wachsen werden.“
SCHNELLFRAGERUNDE
Wohin gehen Sie, um dem Alltag zu entkommen?
„In meinen Garten.“
Was sammeln Sie?
„Kunstbücher.“
Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich sagen?
„Bleib dran.“
Was bringt Sie ins Gleichgewicht?
„Meine Söhne.“
Was ist Ihr Lieblingskleidungsstück?
„Ein cremefarbenes Leinenhemd für Herren. Ich weiß noch nicht einmal mehr, wo ich es herhabe, aber es ist ein Vintage-Hemd, das ich schon ewig besitze. Ich mag die Größe des Hemds sehr gerne, da es schön fällt und eine Utility-Ästhetik hat. Ich kann es anziehen, wenn ich im Garten arbeite oder zu Abend esse.“
Was ist Ihr Lieblingsfilm?
„Die Komödie The Death of Stalin von Armando Iannucci.“
Welches Buch haben sie zuletzt gekauft und gerne gelesen?
„Ich gebe mich jetzt wirklich als alte Frau, die gerne gärtnert, zu erkennen. Das Buch handelt von den einheimischen Gärten im Westen und heißt Under Western Skies.“
Greta Lee trägt Modelle aus der Herbst-/Winterkollektion 2022 von COS.
Fotos von Mario Sorrenti.
Styling von Camilla Nickerson.