MENSCHEN
Coco Capitán über Lyrik und Pride
Die spanische Künstlerin erzählt von ihrer Kindheit in Sevilla, wie man durch das Schreiben eine Verbindung zu anderen Menschen herstellt und was es bedeutet, Teil der LGBTQ+ Community zu sein.
„Es ist sehr wichtig, stets die Menschen zu zelebrieren, die es mir und meiner Generation ermöglicht haben, wir selbst sein zu können, ohne groß darüber nachdenken zu müssen.“
„Ein bestimmtes Pride, das ich nie vergessen werde, erlebte ich mit meiner Mutter“, sagt die engagierte Künstlerin Coco Capitán (sie/ihr), die ihr erstes Orgullo Event in Madrid im Alter von nur vierzehn Jahren besuchte. „Ich habe großes Glück, dass meine Mutter stets unterstützt hat, wer ich bin und wen ich liebe. Ich musste mich als Teenager nie outen oder erklären, wen ich mag oder in wen ich verliebt bin.“
Obwohl sie noch minderjährig war, ging ihre Mutter mit ihr in der Gay-Szene der Stadt aus und versicherte kritischen Türstehern, dass sie auf sie aufpassen würde. „Dieses Pride war wirklich etwas Besonderes“, erinnert sie sich. „Man ging etwas essen und trinken und sah sich dabei eine Drag-Show an. Ich dachte mir, ‚Oh mein Gott, warum habe ich das nicht schon öfter gemacht?‘ Ich fand die ganze Erfahrung einfach toll.“
Jahre später: Capitán – deren durchdachte und originelle multidisziplinäre Werke Fotografie, Bücher, Skulpturen und Keramik beinhalten – kreierte ihre Serie von PRIDE IS PRIDE IS PRIDE T-shirts in ihrem ikonischen künstlerischen Stil. Die Serie spielt mit Nuancen von Sexualität, Gender und Liebe.
Wir trafen Coco Capitán in ihrem neuen Studio in Mallorca, um mehr über ihren einzigartigen Schreibstil, ihre Botschaft und das widersprüchliche Verlangen nach einem Gefühl von Individualität und Gemeinschaft zugleich zu erfahren.
ÜBER DAS LEBEN ZWISCHEN LONDON UND MALLORCA
„Ich werde den Großteil des Sommers hier auf der Insel verbringen, ich liebe es hier einfach. Ich wollte etwas weiter weg von der Großstadt unterkommen. Ich liebe London, die Stadt ist wundervoll, aber ich bin an einem Punkt in meinem Leben und in meiner Karriere angelangt, an dem ich etwas mehr Ruhe brauche. Wenn ich malen oder Keramik oder Skulpturen anfertigen möchte, brauche ich mehr Platz. Hier ist das so viel einfacher. Und London ist nur eine zweistündige Flugreise entfernt, wenn ich dort zu tun habe.“
ÜBER DAS AUFWACHSEN IN EINEM ALMODÓVAR-FILM
„In Sevilla aufzuwachsen war , als wäre man in einem Film von Almodóvar gelandet . Seine Filme sind dem Leben in Spanien, wie viele von uns es von unserer Kindheit her kennen, nicht unähnlich. Ich liebe die Art und Weise, wie Almodóvar das Gender-Spektrum und seine kulturellen Differenzen mit der spanischen Gesellschaft darstellt. Voller Humor, manchmal schrecklich, manchmal traurig, aber letztendlich immer menschlich und realistisch. Niemand hat es je besser dargestellt, was es im Spanien der 80er Jahre bedeutete, ‚anders‘ zu sein. Ich habe von homosexuellen Menschen gehört, die andersgeschlechtliche Partner heiraten, um ihre Familien zufriedenzustellen, dann aber ein Doppelleben führen. Es ist furchtbar, wenn man mit den Menschen, die einem nahestehen, nicht man selbst sein kann. Ich habe Glück, dass meine Familie mich um meinetwillen liebt, und je älter ich werde, desto mehr wird mir bewusst, wie privilegiert ich in dieser Hinsicht bin.“
ÜBER IHREN UNVERKENNBAREN SCHREIBSTIL
„Ich habe bereits als Kind angefangen, in Großbuchstaben zu schreiben, weil ich dachte, es sei leichter zu verstehen. Ich besitze unzählige Notizbücher. Früher habe ich nur für mich selbst hineingeschrieben; es kam mir nie in den Sinn, dass man sie als Kunst betrachten könnte oder dass sich jemand dafür interessieren würde. Irgendwann bemerkten einige meiner engeren Freunde, ‚Ich glaube, die Worte sind manchmal interessanter als das Kunstwerk‘, also begann ich, sie online zu posten, und von da an nahm alles seinen Lauf. Ich möchte durch ein Gefühl oder ein Erlebnis eine Verbindung herstellen. Das, was ich schreibe, möchte ich nicht zu sehr intellektualisieren. Dichter konzentrieren sich darauf, eine Botschaft zu überbringen, und ich denke, ich versuche das Gleiche: wirklich ein Gefühl zu vermitteln.“
ÜBER IHRE PRIDE T-SHIRTS
„Das erste war ALWAYS LOVE BECAUSE LOVE IS ALWAYS LOVE. Es ging einfach um Inklusivität und darum, dass man lieben sollte, wen man will. Es sollte keine Grenzen und keine Schranken geben. Jemanden zu lieben ist immer etwas Gutes. Und bei den anderen zwei T-shirts, wollte ich ein wenig mit der Geschlechterorientierung spielen. Mit A BOYFRIEND CALLED MY GIRLFRIEND wollte ich hervorheben, dass eine Person so viele Eigenschaften haben kann, sowohl maskuline als auch feminine, die ich attraktiv finde. Zufälligerweise ist meine Partnerin eine Frau, aber ich denke, viele Teile ihrer Persönlichkeit fühlen sich für mich ‚männlich‘ an, oder entsprechen zumindest den althergebrachten Vorstellungen von Männlichkeit. Was ich an ihr am attraktivsten finde, sind die vielen Aspekte, die ihre Persönlichkeit ausmachen, ohne sich einem bestimmten Gender zuordnen zu lassen.“
ÜBER GEMEINSCHAFT UND INDIVIDUALITÄT
„Ich betrachte mich selbst als Individuum, vielleicht mit einigen Aspekten, die man als homosexuell oder als queer bezeichnen könnte, aber ich glaube nicht, dass mein Geschlecht oder meine sexuelle Orientierung letztendlich definieren, wer ich bin. Ich umgebe mich mit Menschen, die sich an verschiedenen Punkten des Spektrums von Gender und Sexualität einordnen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der weiß, was Liebe und Freundschaft bedeuten, aufgrund von nebensächlichen Aspekten Grenzen setzen würde – heute noch weniger als je zuvor. Ich finde, je nachdem, wie sich ein Mensch fühlt und als was er sich identifiziert, so sollte er auch bezeichnet werden. Und was den Rest betrifft... Warum sollte es mich kümmern, wen jemand liebt oder mit wem er schläft? Liebe ist die stärkste Kraft. Liebe ist alles. Wer könnte ernsthaft daran denken, ihr Grenzen zu setzen? Und das Gleiche gilt auch für Würde und Respekt, denn diese sind lediglich zwei Erweiterungen von Liebe.“
„Man sollte lieben, wen man möchte. Es sollte keine Grenzen und Schranken geben. Jemanden zu lieben ist immer etwas Gutes.“
ÜBER DIE WERTSCHÄTZUNG DER VERGANGENHEIT
„Sagen zu können, dass man stolz ist, kam zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort. Wir dürfen nicht vergessen, wie lange es nicht nur risikoreich, sondern oft nicht einmal möglich war, offen LGBTQ+ zu sein – Homosexualität existierte für viele Menschen einfach überhaupt nicht! Die Situation ist heute eine ganz andere, aber wir dürfen nicht vergessen, welche Kämpfe bereits ausgestanden werden mussten, wie beispielsweise die HIV/AIDS-Krise. Ich bin all den Menschen dankbar, die es möglich gemacht haben, dass ich so sein kann, wie ich bin, ohne viele Erklärungen abgeben zu müssen. Und doch macht es mich wütend, dass dieses Privileg, man selbst sein zu dürfen , immer noch ein Recht ist, das vielen vorenthalten wird. Wir können uns nicht zu Gewinnern erklären, bis jeder, und ich meine wirklich jeder im Gender- und sexuellen Spektrum, das Recht hat, zu sein, wer er ist, und zu lieben, wen er verdammt noch mal will – unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, geopolitischer Lage, Religion oder finanziellem Status.“
ÜBER DIE ENTWICKLUNG VON MASKULINITÄT
„Stierkampf ist eine große Angelegenheit in Sevilla und es ist ein sehr maskuliner Sport, aber auch sehr queer. All diese Farben! Es mag also sein, dass der Süden Spaniens trotz aller Traditionalität auch genderfluid ist, mehr, als man erwarten würde. Das erinnert einen daran, dass unsere moderne Vorstellung von Männlichkeit nur aus dem letzten Jahrhundert stammt. Eigentlich ist sie ein ziemlich neues Konzept. Wir dürfen nicht vergessen, was es am Hof von Ludwig XVI. in Frankreich bedeutete, maskulin zu sein: Herren trugenAbsatzschuhe und Make-up. Wenn ich ein Junge geworden wäre, hätteich michdefinitiv ziemlich oft ‚mädchenhaft‘ angezogen, weil es Spaß macht, eine Perücke, Make-up und hohe Absätze zu tragen. Warum sollten wir davor zurückschrecken, neue Dinge auszuprobieren? Ich finde, jeder sollte mit Gender experimentieren. Drag gab es bereits im historischen englischen Pantomimetheater und im japanischen Nō-Theater. Ich glaube, es ist sehr gesund für jeden, sowohl der maskulinenn als auch der feminine Seite Ausdruck zu verleihen. Ich glaube nicht, dass es da eine strickte Regel geben sollte. In uns allen steckt sowohl ein Mann als auch eine Frau. Wir sind einfach nur Menschen.“
Worte von Stuart Brumfitt
Entdecken Sie die limitierte COS x Coco Capitán (@cococapitan) Sonderkollektion an T-shirts mit drei exklusiven Designs von Coco Cápitan. 100 % des Verkaufserlöses aus dieser Kooperation wird an verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen gespendet, wie beispielsweise an die Kaleidoscope Trust, The Trevor Project, Outline und Black Rainbow.