MENSCHEN

Natasha Lyonne über das Brechen aller Regeln

„Ich habe keine Ahnung, wer ich ohne New York City wäre. Wir sind untrennbar miteinander verbunden“ – Die Schauspielerin, Autorin und Regisseurin über die beste Stadt der Welt

Natasha trägt einen Blazer von COS.

Zu behaupten, dass Natasha Lyonne (sie/ihr) schon ihr ganzes Leben lang eine Liebesaffäre mit ihrer Heimatstadt führt, wäre angesichts der Intensität ihrer Beziehung eine Untertreibung. „Ich habe keine Ahnung, wer ich ohne New York City wäre“, erklärt die toughe Frau mit der Reibeisenstimme. „Wir sind untrennbar miteinander verbunden.“

Vor unserem Gespräch sind Natasha und ihr Hund Rootbeer gerade in ihrer selbstgewählten Teilzeitheimat Los Angeles gelandet. „Ich fliege diese Strecke ziemlich oft, aber ich werde mich nie an New Yorks unmittelbare Coolness gewöhnen und daran, dass LA... naja...“, sagt sie lachend. „New York ist die beste Stadt der Welt. Das ist einfach so. Ich schätze, ich werde nie zur Bürgermeisterin anderer Städte gewählt. Was für eine Schande.“

„Unsere Geschichten prägen unsere Welt und unser gegenseitiges Verständnis. Hat man eine sehr eingeschränkte Sichtweise auf die Welt als Ganzes, zieht das natürlich Probleme nach sich.“

Nicht zufällig spielt New York eine Hauptrolle in Matrjoschka, dem preisgekrönten Comedy-Drama, in dem Natasha Lyonne als Mitproduzentin und Schauspielerin mitgewirkt hat. Die zweite Staffel läuft seit April 2022 auf Netflix. In der Serie geht es um die zynische Nadia Vulvokov, die erst in einer Zeitschleife feststeckt und dann durch 80 Jahre Geschichte reist. Ein witziges, wildes und unbändiges Fernseh-Experiment.

Unter anderem mit dieser Produktion hat Natasha, die mittlerweile als Autorin, Regisseurin und Produzentin tätig ist, bewiesen, dass sie nicht nur eine begabte Schauspielerin ist. In ihr steckt so viel mehr, als ihr so manche durch ihr altmodisches, einschränkendes Denken zugetraut haben. Sie dreht Filme, die sich um junge Menschen und Außenseiter drehen, und möchte ihnen zeigen, dass es nichts gibt, was sie nicht erreichen können. 

ÜBER NEW YORK CITY
„New York spiegelt sich hier in allem wider. Ich rate den Leuten immer, das Haus in einem legeren Business-Outfit zu verlassen. Man sollte sich stets für einen Look entscheiden, der sowohl tagsüber als auch am Abend angemessen ist. So kann man sich in seinen Entscheidungen von der Stadt leiten lassen. Ein Spaziergang durch die Stadt ist einfach großartig, man möchte natürlich sicherstellen, dass man Teil dieses spannenden Abenteuers sein kann, wenn man Lust darauf hat.“

ÜBER UNTERNEHMUNGEN AM SONNTAG
„Ich denke nicht wirklich über Sonntagsausflüge nach, das finde ich merkwürdig. Ich hasse die Idee hinter Brunch. Es verwirrt mich absolut, dass dieses Konzept eine international anerkannte Goldgrube ist. Ich schätze, mein größter Albtraum wäre Brunch am Sonntag. Mein Lieblingsplatz in New York ist ein Kino namens Film Forum. An meinem perfekten Sonntag, der hoffentlich auf einen Dienstag fällt, würde ich ins Film Forum spazieren, ein altes Double Feature in Schwarz-Weiß anschauen, ein paar Scherze darüber machen und wieder nach Hause gehen.“

WIE SICH DIE STADT VERÄNDERT HAT
„Ich muss immer an den Ausspruch von Elaine Stritch denken: „Alle beschweren sich immer darüber, dass die Stadt sich verändert. Die Stadt hat sich schon immer verändert. Kommt darüber hinweg.“ Zugegeben, das ist etwas frei zitiert, aber ich habe das Gefühl, dass Leute gerne darüber sprechen. Letztendlich besteht das Leben aus Veränderung, so deprimierend das auch sein mag. Was jedoch wirklich passiert ist, dass wir älter werden und die Stadt jünger wird."

ÜBER IHREN STIL
„Mein Stil ist immer gleich. Ich liebe Uniformen mit besonderer Note. Ich hasse den Sommer, liebe Herbst und Winter. Ich glaube es ist wichtig, immer einen Blazer im Schrank zu haben – ich verstaue alle meine Sachen in den Taschen. Ich mag Blazer, in denen ich meine Brille, meine Sonnenbrille mit Stärke und mein Handy unterbekomme. Meine Schlüssel befestige ich an meiner Jeans und mein Feuerzeug findet dort auch Platz. In meiner Gesäßtasche habe ich immer: MetroCard, Ausweis, Kreditkarte, einen 20-Dollar Schein und meinen COVID-Impfnachweis. Noch eine Packung Zigaretten, Lipliner und ich bin bereit zum Gehen. Ich brauche den Platz in den Taschen für alle diese Dinge."

Natasha trägt ein Kleid von COS.

„Ich bin kein Fan der Bezeichnung „weibliche Filmemacherin“... sie fühlt sich für mich unpassend an.“

ÜBER IHRE FRÜHEN EINFLÜSSE
„Ich habe Filme schon immer geliebt. Meine Eltern mochten viele Filme mit harten Kerlen, beispielsweise Der Pate, Scarface oder Rocky. Ich mochte Sylvester Stallone und Rambo und Ein Fisch namens Wanda sehr gerne. Natürlich kann man von meiner Persönlichkeit oder meinem Akzent nicht darauf schließen, dass ich diese Dinge mag."

ÜBER DAS SCHREIBEN EIGENER GESCHICHTEN
„Unsere Geschichten prägen unsere Welt und unser gegenseitiges Verständnis. Hat man eine sehr eingeschränkte Sichtweise auf die Welt als Ganzes, zieht das natürlich Probleme nach sich. Es existiert der falsche Glaube, dass es nur ein Richtig gibt. Die Geschichte der Menschheit ist viel komplexer als aus einer eingeschränkten Sichtweise betrachtet, bei der man die Welt nur aus einer einzelnen Perspektive sieht. Das erscheint mir merkwürdig. Und langweilig.“

WIE UNS KATEGORIEN EINSCHRÄNKEN
„Ich bin kein Fan der Bezeichnung „weibliche Filmemacherin“... Ich glaube auch nicht, dass ich mich damit stark identifiziere. Es ist einfach nur der Ballast aller anderen, den ich mit mir herumtragen muss. Ich glaube niemand mag es, wenn seine oder ihre Arbeit durch ihre Andersartigkeit definiert wird. Es fühlt sich einschränkend an. Lasst uns diese Kriterien beseitigen. Warum kann #femalefilmmakerfriday nicht einfach #filmmakerfriday sein? Es hat etwas Beleidigendes an sich – nach dem Motto oh, Frauen können das auch. Das fühlt sich für mich unpassend an. Ich als Person, die schreibt und Regie führt, würde die Arbeit lieber als unabhängiges Werk betrachten und sie nicht als anders abstempeln.“

WIE SIE EINE GUTE IDEE ERKENNT
„Mir kommen Ideen immer blitzartig. Ich mache mir immer Notizen zu einem bestimmten Thema, tauche tiefer in die Welt ein, die es umgibt und versuche, genauestens zu verstehen, was ich ausdrücken möchte. Ich möchte mich näher damit beschäftigen, kehre immer wieder zu dem Thema zurück, denke viel darüber nach. Für die erste und zweite Staffel von Matrjoschka bin ich viel umher gelaufen und habe mir Notizen gemacht, das war sehr unterhaltsam. Ich habe versucht, tiefer gehende Gespräche zu beginnen, nur um zu sehen, was die Menschen beschäftigt, weil Menschen einfach so unendlich merkwürdig sind. Sie sprechen über Witziges und Faszinierendes, nehmen seltsame Dinge sehr ernst oder werden seltsam, wenn es um normale Dinge geht. Also versuche ich, diese Stimmung einzufangen.“

ÜBER DIE ERHOFFTEN AUSWIRKUNGEN IHRER ARBEIT
„Ich hoffe ich kann dabei helfen, Schritt für Schritt eine andere Sichtweise zu etablieren. Wir müssen die Beschränkungen aufheben, die definieren, welche unserer Geschichten im Mittelpunkt stehen sollten. Ich glaube, ich mache das für die Kinder. Ich liebe junge Leute und identifiziere mich immer mit den jungen Spinnern im hinteren Teil der Klasse oder mit den Außenseitern. Ich möchte, dass sie wissen, dass es einen Platz für sie gibt. Dass sie Dinge nicht auf die eine bestimmte Art machen müssen wie schon 100 Menschen vor ihnen. Und trotz alledem ist es wichtig, dass sie wissen, dass das alles auch für Frauen gilt.“

Schnellfragerunde

Welches Buch haben sie zuletzt gekauft und gerne gelesen?
„Exhalation von Ted Chiang.“

Was ist Ihr wertvollster Besitz?
„Kann man einen Hund in diesem Sinne besitzen? Wenn ja, dann mein Hund Rootbeer.“

Wohin gehen Sie, wenn Sie eine Pause brauchen?
„Ins New Yorker Kino Film Forum.“

Was sammeln Sie?
„Ich sammle Bücher. Ich habe Unmengen davon.“



Natasha Lyonne (@nlyonne) trägt Modelle aus der Herbst-/Winterkollektion 2022 von COS.
Fotos von Mario Sorrenti.
Styling von Camilla Nickerson.
Text von Maisie Skidmore.


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