Jenseits der Grenzen:

Ein Gespräch mit
Honey Dijon
Die in Chicago geborene und in Berlin lebende internationale DJane über den Stil der Clubkultur, ihr Queer-Dasein und darüber, dass jeder Tag der Internationale Frauentag ist.
Sie werden kaum eine Person auf dieser Welt finden, die mehr beschäftigt und gebucht ist als Honey Dijon. Die in Berlin lebende DJane nimmt eine schwindelerregende Anzahl von Flügen auf sich, um ihre Kreativität bei einer Vielzahl von kulturellen Veranstaltungen zu verbreiten, darunter Auftritte bei Sonar und Coachella, bei der Pariser Modewoche und als Support ihrer Heldin Grace Jones. Wenn man ein gewisses Niveau erreicht hat, ist das Leben eines DJs wie das eines Profisportlers“, sagt sie. Unter der Woche geht man zu Modeschauen und am Wochenende zu Festivals, dann wieder zurück... man muss sich also wirklich darauf vorbereiten. Wenn sie nicht auf den größten Partys rund um den Globus spielt, nimmt Honey ihre eigene Musik auf und geht mit Madonna ins Studio (das war ein richtiger Aha-Moment für mich).
Aber für Honey ist das weniger Stress, sondern eher ganzheitliche Glückseligkeit. „Sie sind wie verschiedene Liebhaber, die verschiedene Dinge brauchen", sagt sie mit vollkommener Ruhe in dieser sanften Chicagoer Stimme. Im Grunde ist alles eine Sache: Musik machen, Kleidung entwerfen, reisen, sich inspirieren lassen, sehen, wie andere Menschen reden, gehen, essen, flirten, verführen, sich anziehen und tanzen. Wenn man DJ, Designer oder Kreativer ist, muss man Teil der Welt sein. Ich trenne nicht zwischen Musik und Mode, Kunst oder Reisen. Alles ist miteinander verbunden.“
Für Honey bedeutet das, „über seine Grenzen hinauszugehen“. Und ganz besonders am Internationalen Frauentag, an dem Honey Frauen auf der ganzen Welt zur Selbstbestimmung ermutigt: „Es gibt nicht nur die eine Art und Weise, eine Frau zu sein, es gibt nicht nur die eine Art und Weise, feminin zu sein.“
„ES GIBT NICHT NUR EINE ART UND WEISE, FRAU ZU SEIN. GENAUSO WIE ES NICHT NUR EINE ART UND WEISE GIBT, FEMININ ZU SEIN.“
ÜBER GESCHLECHTER
„Ich freue mich sehr über die Dekonstruktion des Geschlechts, die sexuelle Befreiung der neuen Generation. Die Dekonstruktion der binären, hetero-normativen, homo-normativen, geschlechts- und sexuellen Orientierung wird uns allen ein Gefühl der Freiheit geben. Die vergangenen fünf Jahre waren bereits ein solcher Wendepunkt. Die neue Generation kümmert sich nicht wirklich darum, ob man schwul oder hetero, männlich oder weiblich, trans oder cis ist - es geht mehr um die Person. Und ich habe mich selbst für das Queer-Sein entschieden. Diese neue Generation ist einfach so offen. Und es ist wirklich schockierend für mich, da man sein ganzes Leben lang darauf konditioniert wurde, sich zu verstecken. Als schwule oder transidente Menschen mussten wir uns in vielerlei Hinsicht einschränken. Queer ist ein Oberbegriff für Menschen, die weder heterosexuell noch cisgender sind. Ich denke, queer bedeutet, selbstbestimmt zu sein. Ich glaube nicht, dass die Worte schräg, ungewöhnlich, bizarr, neugierig oder seltsam schlechte Wörter sind. Ich glaube, das sind tatsächlich Worte, die mich ansprechen.“
ÜBER DEN INTERNATIONALEN FRAUENTAG
„Jeder Tag ist Internationaler Frauentag. Eine Frau zu sein bedeutet für mich auch, selbstbestimmt zu sein. Es gibt nicht nur eine Art und Weise, eine Frau zu sein, es gibt nicht nur eine Art und Weise, weiblich zu sein. Letztendlich wollen wir alle, dass unser Menschsein respektiert und so akzeptiert wird, wie wir es für uns gewählt haben. Jemand, der nicht unsere Erfahrungen gesammelt hat, hat kein Recht zu entscheiden, wer wir sind. Männer, die Gesetze beschließen, die den Körper von Frauen betreffen, sind für mich das Absurdeste auf der Welt. Wie kann man über den Körper einer Frau bestimmen, wenn man selbst keine Frau ist? Da geht es um Power und Kontrolle. Eine Frau zu sein bedeutet, die Frau sein zu können, die man sein will, und sich nicht entscheiden zu müssen, ob man heiraten oder Kinder haben will oder in dieses Paradigma des Patriarchats der Weiblichkeit zu passen, das eigentlich dazu gedacht ist, Frauen einzuschränken.“
ÜBER MODE
„Meine Liebe zur Mode begann durch die Musik und meine Lieblingskünstler, wie sie sich kleideten und sich mit Kleidung ausdrückten. Meine beiden Lieblingskünstlerinnen sind Grace Jones und Sade. Grace war sehr bekannt dafür, dass sie viel Alaia trug und Sade trug viel von von Gaultier. Meine Liebe zur Mode begann, als ich Grace Jones auf dem Album Nightclubbing in einem Blazer von Armani sah. Die künstlerische Leitung für das Cover hatte Jean-Paul Goude, und die Hochsteckfrisur stammte von dem Hairstylisten Christian. Für mich war Mode also immer nie etwas anderes als Kunst oder Musik. Als ich in Chicago aufwuchs, ging es bei Kleidung darum, mich auszudrücken, anderen Leuten zu signalisieren, dass ich auf diese Musik stehe, in den Club gehe oder diese Band höre. Es ging nicht um Status oder um die Zurschaustellung von Reichtum oder darum, zu zeigen, dass ich Teil einer Gesellschaft bin. Für mich war es nie erstrebenswert, es ging viel mehr um Inspiration. Es gab so viele kulturelle Gruppen von Menschen, die in House-Clubs gingen. Man sah Kids mit Irokesen und Abzeichen auf ihren Jacken und New-Wave-Brillen. Aber viele der frühen House-Partys fanden in katholischen Highschools statt, also gab es die Preppies, die weiße Oberteile, Loafers, verkürzte Jeans und Poloshirts trugen. Viele Leute lase L'Uomo Vogue und Vogue Italia, und so sah man Kinder in Gianfranco Ferré, Versace und Kansai Yamamoto zu den Shows kommen. Das war quasi meine Ausbildung in Sachen Mode. Es war irgendwie auch ganz schön überwältigend, denn es gab so viele verschiedene Gruppen innerhalb der Clubkultur, die alle einzigartig unterschiedlich waren, aber irgendwie zusammenhielten. Es war erstaunlich.“

Honey trägt eine Weste, ein Top, eine Hose und eine Tasche von COS.
SCHLUSS MIT VORURTEILEN
„Es ist eine pausenlose Arbeit. Es gibt Momente, in denen ich ein Gefühl der Erleichterung verspüre, aber es gibt noch so viel zu tun. Da ich mich sozusagen an der Schnittstelle vieler politischer Bereiche befinde – als farbige Person, als Frau, als farbige Frau, als Transfrau, als Künstlerin – gibt es so viele Dinge, mit denen ich mich täglich auseinandersetze. Und das sogar in meinen persönlichen Beziehungen – die Menge an Aufklärung, die ich sogar innerhalb der queeren Community darüber leisten muss, was Trans ist! Denn normalerweise konzentriert sich LGBTQI auf die sexuelle Orientierung und nicht auf die Geschlechtsidentität. Allein die Tatsache, dass wir diese Gespräche führen und dass Unternehmenseinheiten wissen, dass es Aufgaben gibt, die erledigt werden müssen und dass sie Mitarbeiter wie mich einbeziehen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir haben noch viel zu tun. Denn es ist in Ordnung, Frauen, Trans-Menschen, nicht-binäre Menschen und People of Colour vor die Linse zu setzen, aber wenn wir Menschen wie uns in Machtpositionen haben, dann wird es zu einem echten strukturellen Wandel kommen, denn das ist systematische Unterdrückung.“
ÜBER IHRE HELDEN
„Verschiedene Menschen inspirieren mich aus verschiedenen Gründen. Grace Jones war nicht traditionell feminin oder hübsch, sie war maskulin. Das war für mich wirklich eine große Inspiration, dass jemand die Vorurteile überwunden hat. Indya Moore, die sich komplett aus der Modeindustrie zurückgezogen hat, obwohl die meisten Menschen alles dafür tun würden, in dieser Branche zu arbeiten. Ihre Aussage bei der Met Gala und wie sie sich völlig unwohl fühlte und glaubt, nicht noch einmal daran teilzunehmen, war wirklich inspirierend für mich. James Baldwin inspiriert mich, wenn er über Ethnien spricht. Bell Hooks sagt, Selbstliebe sei eine radikale Sache. Ein Interviewer fragte Eartha Kitt einmal, ob sie sich für einen Mann und für die Liebe kompromittieren würde? Und sie entgegnet: ‚Wenn es Liebe ist, muss man da wirklich Kompromisse eingehen? Es gibt keine Kompromisse, wenn es Liebe gibt.‘ Sie sagt: ‚Nun, will Eartha Kitt verliebt sein?‘ Sie sagt: ‚Ich möchte, dass jemand erlebt, wie ich in mich selbst verliebt bin. Es ist einfach so tiefgreifend. Meine Mutter hat immer gesagt: ‚Du siehst vielleicht meinen Ruhm, aber meine Geschichte kennst du nicht.‘ Immer wenn ich eine richtig schwierige Phase habe, würde sie sagen: ‚Diese Karten hat man dir gelegt.‘ Und ich weiß, dass das für viele Leute reduzierend oder abweisend erscheinen mag, aber ich finde, es steckt eine Menge Macht darin, denn es geht darum, was man jetzt tun soll ... Will man sich mit dem, was passiert, abfinden, oder will man da rausgehen und es schaffen? Das ist eine Verschmelzung verschiedener Inspirationen, die mir die moralische Stärke geben, um da rauszugehen und mein Ding durchzuziehen.“
„DIE DEKONSTRUKTION DER BINARITÄT, DER HETERONORMATIVITÄT, DER HOMONORMATIVITÄT, DES GESCHLECHTS UND DER SEXUELLEN ORIENTIERUNG WIRD UNS ALLE AUS DEN FESSELN BEFREIEN.“
SCHNELLFRAGERUNDE
COS
Wie sieht Ihre Routine bei Flügen aus?
HD
„Kurkuma-Tee für den Magen, Reishi-Tee zur Entspannung und Berocca für Energie. Kleine Elektrolytpakete. Und ganz wichtig, kein Alkohol. Außerdem Sheabutter. Ich schmiere mein Gesicht damit ein. Sie spendet so viel Feuchtigkeit.“
COS
Wie schlafen Sie nach einem Auftritt?
HD
„Diese tollen pflanzlichen Schlafpillen namens Unplug. Und ich habe ein paar Filme, die ich mir immer wieder ansehe, wenn ich schlafen gehe. Der Teufel trägt Prada habe ich mir oft angesehen. Ich habe ihn bestimmt schon eine Million Mal gesehen, ich schlafe dabei einfach immer ein.“
COS
Welches war das erste Album, das Sie je gekauft haben?
HD
„Bostich von Yello. Es ist eine der frühesten einflussreichen House-Platten der Welt.“
COS
Was war der letzte mit Musik verknüpfte Gegenstand, den Sie gekauft haben?
HD
„Teddy Pendergrass neu abgemischt von John Morales. Ich bin ein riesiger Fan von Teddy Pendergrass.“
COS
Wenn Sie eine Botschaft an Ihr jüngeres Ich senden könnten, was würden Sie sagen?
HD
„Mädchen, warte einfach ab. Du hast keine Ahnung, wohin dein Leben führen wird. Alles wird gut.“
TEXT VON STUART BRUMFITT
FOTOS VON TOM ELKAÏM
STYLING VON CLARE RICHARDSON
Im Rahmen unserer Feierlichkeiten zum Weltfrauentag hat Honey exklusiv für COS Sounds eine Playlist zusammengestellt, in der eine Reihe von Musikerinnen zu hören sind, die sie inspiriert haben.