Kelela: Stärke in Verwundbarkeit

Für die Sängerin und Songwriterin Kelela, die gerade ihr genreübergreifendes Album Raven veröffentlicht hat, liegt die Kraft in der Offenheit, in der Akzeptanz von Verwundbarkeit und im direkten Umgang mit Ängsten.

Kelela trägt einen Blazer und eine Hose von COS.

„Dass ich im Rahmen meiner Arbeit marginalisierte Schwarze in den Mittelpunkt stelle, kommt allen zugute. Ich denke viel darüber nach, wenn es um das Thema Vermächtnis geht.“

„Ich habe darauf gewartet, furchtlos zu werden, aber in Wirklichkeit ist das kein sinnvolles Konzept, weil ich immer Angst haben werde. Es geht darum, diese Angst zu akzeptieren und den Mut zu finden, es trotzdem zu tun.“

Kelelas (sie/ihr) Musik ist ein Dialog zwischen Vergangenheit, Gegenwart und einer imaginären Zukunft, der mehrere Augenblicke einfängt. Die Sängerin, Songwriterin und Produzentin wurde 2013 mit der Veröffentlichung ihres ersten Mixtapes „Cut 4 Me“ ins Rampenlicht katapultiert. Ein ambitioniertes Debüt, das die Richtung für ein Gesamtwerk vorgab, das sich allen Konventionen widersetzt und mittlerweile ein Jahrzehnt alt, aber so relevant ist wie an dem Tag, als es erschien.

Ihr erstes Studioalbum, Take Me Apart, erschien 2017. Hier verschmelzen der RnB ihrer Kindheit in Maryland mit stimmungsvollen Synthesizern, Drum-and-Bass und ihrem kraftvollen, ausdrucksstarken Gesang. Ihr Ruf als Innovatorin war damit gefestigt.

Es folgte eine längere Pause von der Musikbranche, Anfang 2023 erschien dann das lang erwartete Album Raven. Die Ode an die Clubszenen von Chicago, Baltimore und Jersey, die die schwarzen Frauen ins Zentrum dieser bahnbrechenden Veränderungen rückt, ist eine deutliche Entwicklung in puncto Sound und Intention.

Im Gespräch über das Leben nach Raven und die Entstehung ihres eigenwilligen Sounds spricht sie über Offenheit, Verwundbarkeit und ihre Mission: „die Intimität, die Menschen miteinander, aber auch mit sich selbst teilen, zu ergründen“.

„Der Reiz liegt darin, auf der Platte wirklich verletzlich zu sein, und dann kommen plötzlich die Streicher zum Einsatz. Dieses Aufeinandertreffen ist kraftvoll. Ich liebe dieses Drama.“

MUSIKALISCHE ANFÄNGE

„Wenn ich über die Bandbreite der Musik nachdenke, die ich als Erwachsene mag, wird mir bewusst, dass die Basis schon früh gelegt wurde. Wir hatten nicht viele Platten, aber es gab Popsängerinnen wie Whitney Houston und Janet Jackson sowie Jazzgrößen wie Sarah Vaughan und Ella Fitzgerald. Wir hörten die Musik weltbekannter Stars wie Miriam Makeba und José Feliciano und dann Musicals wie Anatevka und The Sound of Music.“

KLANG DEFINIEREN

„Raven bewegt sich musikalisch zwischen vielen verschiedenen Stilrichtungen, die man als ‚Tanzmusik‘ bezeichnen könnte, hat aber seine Wurzeln in so vielen Formen des Pop und der Black Music. Es ist eine Momentaufnahme meiner romantischen Erfahrungen, größtenteils mit Männern, und den Grenzen, an die ich immer wieder stoße. Ich drücke das auf der gesamten Platte auf viele verschiedene Arten aus.“

ZUSAMMENARBEIT UND EINSAMKEIT

„Wenn man als Songwriter vor Leuten improvisieren muss, wohnt dem eine gewisse Verwundbarkeit inne. Bei Raven habe ich anfangs viel selbst gemacht, meine Arbeit mit Freunden geteilt und sie gefragt, was sie davon halten. Dann kam die Pandemie und ich stellte fest, dass es für meinen Prozess nützlich war, Zeit für mich alleine zu haben. Ich akzeptierte die Hindernisse; ich habe mich noch nie mit einer Einschränkung befasst, die den Text nicht bereichert hat.“


KLANGKONTRAST

„Ich suche immer nach einem Kontrast in der Art und Weise, wie ich mich ausdrücke, insbesondere bei Clubmusik. Als ich anfing, das Mixtape zu machen – das allererste Projekt, an dem ich gearbeitet habe – wollte ich unbedingt raue und aggressiv klingende Drums und Musik haben, um die Leichtigkeit in meiner Stimme und die Weichheit, die meiner Art zu schreiben innewohnt, auszugleichen.“

 

Kelela trägt einen Pullover und einen Rock von COS.

„Ich habe darauf gewartet, furchtlos zu werden, aber in Wirklichkeit ist das kein sinnvolles Konzept, weil ich immer Angst haben werde. Es geht darum, diese Angst zu akzeptieren und den Mut zu finden, es trotzdem zu tun.“

DAS ANNEHMEN VON VERWUNDBARKEIT

„Der Reiz liegt darin, auf der Platte wirklich verletzlich zu sein, und dann kommen plötzlich die Streicher zum Einsatz. Dieses Aufeinandertreffen ist kraftvoll. Ich liebe dieses Drama – diese Seifenoper, die Hauptfigur, alles in Zeitlupe. Dies schafft auch ein sicheres Forum für andere, ihre eigene Verwundbarkeit zu ergründen, vor allem im Club, und das liebe ich – Verwundbarkeit in diesem scheinbar rauen Umfeld zu zeigen, sein Herz auf der Zunge zu tragen.“

DIE SUCHE NACH INNOVATION

„Wenn ich Musik mache, frage ich mich: ‚Fühlt sich das wie eine neue Idee an?‘ Wenn nicht, bin ich nicht so interessiert. Vor Raven hatte ich Musik, die ich als nächstes Album hätte veröffentlichen können, aber in diesem Moment funktionierte es für mich einfach nicht. Ich wollte etwas ausdrücken, das sich völlig neu anfühlte. Ich wollte mit meiner Musik furchtlos werden, aber in Wirklichkeit ist das kein sinnvolles Konzept, weil ich immer Angst haben werde. Es geht darum, diese Angst zu akzeptieren und den Mut zu finden, es trotzdem zu tun.“

VERMÄCHTNIS

„Dass ich im Rahmen meiner Arbeit marginalisierte Schwarze in den Mittelpunkt stelle, kommt allen zugute. Ich denke viel darüber nach, wenn es um das Thema Vermächtnis geht. Als schwarze Frau meinen Raum einzufordern kann für andere Menschen genau so viel bedeuten, wie es mir bedeutet. Meine Aufgabe ist es, Menschen wie mir, die diesen Raum betreten, das Ganze ein wenig einfacher zu machen, indem ich ihn entzaubere und einen Plan erstelle.“


STIL ALS SELBSTENTFALTUNG

„Durch meinen Vater habe ich gelernt, mich durch Kleidung auszudrücken. Er hatte schon immer einen sehr guten Stil und legt großen Wert auf Qualität und Handwerkskunst. Wir sind zusammen einkaufen gegangen und haben uns dabei nie nur auf die Abteilung für Mädchen oder Jungen beschränkt. Ich habe mich immer sehr stilbewusst gefühlt und bin immer zwischen einem maskulinen und einem eher femininen Stil hin und her gewechselt. Das hat sich definitiv auf mein Erwachsenenleben ausgewirkt.“


NÄCHSTE SCHRITTE

„Ich bin dabei, das Remix-Projekt von Raven abzuschließen. Dann machen wir uns an das nächste Album.“

 

 

SCHNELLFRAGERUNDE 

Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?

„The Mastery of Love von Don Miguel Ruiz.“

Wenn Sie morgen irgendwo hin fliegen könnten, wohin wäre das?

„Marseille.“

 Was ist Ihr absoluter Lieblingsfilm?
„Chocolat – Verbotene Sehnsucht von Claire Denis oder Das Weltgericht von Bamako von Abderrahmane Sissako.“

Was ist Ihr wertvollster Besitz?

„Ich hänge nicht so sehr an meinem Eigentum. Vielleicht eine „K“-Halskette, die mir mein Freund geschenkt hat. Oder Dateien, all meine Arbeit auf meiner Festplatte.“



Text von Lena Dystant
Kelela trägt Modelle der Herbst-/Winterkollektion 2023 von COS. Fotos von Daniel Jackson.
Styling von Jane How.

 


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