MENSCHEN
Über Traditionen hinaus: SOKO über die moderne Familie
Als sie uns ihr besticktes Pride T-Shirt mit der Aufschrift Oh, To Be a Rainbow! präsentiert, sprechen wir mit der Indie-Musikerin und Schauspielerin über das Muttersein, queere Liebe und das Bedürfnis, für die Rechte von Transkindern zu kämpfen.
Drei Alben mit Kultstatus, zwei César-Nominierungen als Schauspielerin und ein „dreieinhalbjähriger Mensch, den es zu erziehen gilt und um den ich mich rund um die Uhr kümmern muss” – SOKO (sie/ihr), die in Bordeaux geboren wurde und in LA lebt, hat in ihrem Leben schon so einiges erreicht. Als wir in ihrem Zuhause in Highland Park mit der 36-Jährigen gesprochen haben, sinnierte sie darüber, was sie und ihren Sohn Indigo wohl als nächstes erwartet. „Ich nehme Lieder auf”, sagt sie, „aber ich versuche auch, möglicherweise nach Paris umzuziehen.” Für jemanden, der sich wie die Verkörperung des coolen französischen Mädchens in Kalifornien fühlt, kam ein potentieller Umzug einem Schock gleich. Warum sollte sie einen Ort verlassen wollen, den sie zugegebenermaßen liebt? „Der Mittelpunkt meiner Arbeit war schon immer in Paris”, erklärt sie. „Als ich Single war und noch kein Kind hatte, war es sehr einfach, mal hier in Paris und da in LA zu leben. Jetzt, wo ich ein Kind habe, das zur Schule geht, ist es in LA viel schwieriger.”
Nachdem sie also 14 Jahre lang mit Unterbrechungen in den USA gelebt hat, macht sich SOKO bereit, wieder in ihr Heimatland zurückzukehren. Sie hat etwas Angst davor, als alleinstehende queere Mutter das liberale LA gegen Paris einzutauschen. Aber wenn es je eine französische Frau gegeben hat, die sich darum bemüht, die Wertvorstellungen von Menschen zu verändern und lesbische Liebe, Beziehungen und Familien zu normalisieren, dann ist es SOKO. Die Sängerin hat ihre Musikvideos für Lieder wie Let Me Adore You stets dazu verwendet, intime Filmaufnahmen von sich selbst zu zeigen, auf denen sie ihre gleichgeschlechtlichen Partnerinnen küsst, mit ihnen kuschelt und Spaß hat. Darüber hinaus zeigte sie sich, wie sie ihren wunderschönen nackten Babybauch streichelt und mit ihrer Liebhaberin und ihrem Kind im Bett liegt – Dinge, die in einigen Ecken der Welt immer noch als schockierend gelten.
„Warum sollte man nur Männer und Frauen sehen, die sich küssen? Für mich ist es wichtig, ein Statement zu setzen und zu zeigen, wie das Leben für mich und andere Menschen aussieht.”
Für SOKO war es schon immer essentiell, die sanfte Macht von Musik, Videos und Filmen zu nutzen, um Arten von Liebe zu zeigen, die nicht dem Cis-Hetero-Weltbild entsprechen. Für sie sollten Sexualität und Geschlecht fluid sein. „Ich bin homosexuell. Ich bin lesbisch. Manchmal bin ich bi, aber hauptsächlich bin ich lesbisch und pan. Ich bin queer. Geschlechter sind mir eigentlich so ziemlich egal. In puncto Lebenserfahrungen war es für mich viel einfacher, Partnerschaften mit Frauen oder Menschen, die sich als Frauen identifizieren, einzugehen. Aber es ist nicht so, dass sich das nicht ändern könnte.”
Als sie uns ihr besticktes Pride T-Shirt mit der Aufschrift Oh, To Be a Rainbow! präsentiert, sprechen wir über das Lied, das als Inspiration hierfür diente, über den Kampf für den Schutz von Transkindern und die Notwendigkeit, LGBTQIA+ Geschichte an Schulen zu lehren.
ÜBER IHRE LGBTQIA+ HYMNE
„Die Inspiration hinter dem Lied Oh, To Be a Rainbow!: Ich wollte schon immer meine eigene Version einer LGBTQIA+ Hymne. Etwas, das eine gute Erinnerung an all die Dinge darstellt, die das volle Spektrum eines Regenbogens verkörpern. Man muss die gesamte Bandbreite an Emotionen besitzen, da Regenbogen aus Sonne und Regen entstehen. Alles dazwischen ist magisch. Es geht darum zu akzeptieren, wer man ist, gute und schlechte Tage zu akzeptieren und einzusehen, dass Magie aus der Balance beider Komponenten entsteht. Es ist die queere Indie-Version einer LGBTQIA+ Hymne, die es da draußen in der Pop-Welt nicht gibt. Ich habe die Zeile als Inspiration für das T-Shirt benutzt und dachte: „Oh, ich möchte gerne eine Kreuzstichstickerei verwenden.” Ich wollte einen Vintage-Look erzielen, ein besonders farbenfrohes, auffälliges Motiv, bunt und kindlich. Ich wollte, dass es aussieht, als wäre es von einer Oma gemacht worden, die alle queeren Menschen akzeptiert. Ein kleines Kind soll sagen können: „Ich kann alles sein, was ich möchte.” Das ist die Idee hinter dem Ganzen.”
ÜBER IHRE BAHNBRECHENDEN VIDEOS
„Ein Teil von Let Me Adore You wurde gefilmt, als ich schwanger und mit meiner Ex-Partnerin Stella zusammen war. Ich hatte als Heranwachsende keine solchen Vorbilder. Ich hatte keine Ahnung. Ich musste alles selbst herausfinden. Als das Video veröffentlicht wurde, freute ich mich über all die Kommentare von Menschen, die sagten: „Das ist es, was ich will.“ Junge Menschen meinten: „Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt.” Deshalb schrecke ich nicht davor zurück. Warum sollte man nur Männer und Frauen sehen, die sich küssen? Mir ist es wichtig, ein Statement zu setzen und zu zeigen, wie das Leben für mich und hoffentlich für andere Menschen aussieht. Ich möchte einfach transparent sein und normalisieren, wie mein Leben sich gestaltet.”
ÜBER KEIN WIRKLICHES COMING-OUT
„Es passierte so ziemlich von selbst. Ich wusste es irgendwie schon immer. Als ich 10 war, war ich ein bisschen in meine beste Freundin verliebt. In puncto Coming-out – homosexuelle Menschen wurden nicht bewusst wahrgenommen. Ich wusste nicht, was Coming-out bedeutet. Wir haben im Französischen kein Wort dafür. Zu dieser Zeit wusste ich nicht, dass ich ein Coming-out haben oder etwas offenbaren musste. Ich erinnere mich daran, ich war 19 oder 20 Jahre alt, dass meine Mutter zu mir sagte: „Hey, wenn du einen Freund hast und ihn diesen Sommer mit nach Hause bringen möchtest.“ Und ich entgegnete: „Naja, ich habe keinen Freund, aber eine Freundin.“ Und sie: „Oh okay, dann bring deine Freundin mit.””
ÜBER DIE NEUEN HERAUSFORDERUNGEN DER PRIDE
„Ich war nie wirklich bei der Pride. Ich mag Menschenmassen gar nicht, Demonstrationen oder Musikfestivals sind mein persönlicher Albtraum. Ich bekomme wirklich Angstzustände. Ich gehe auf ein paar Demonstrationen und schreibe Plakate, aber eher in absoluten Krisenzeiten. Und ich habe nie den Gedanken gehabt: „Lass uns zur Pride gehen, Spaß haben und die Tatsache feiern, dass ich homosexuell bin!“ Das entspricht nicht meiner Vorstellung davon, zu feiern und Spaß zu haben. Es gibt jedoch immer Herausforderungen, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Was Transkindern in den USA aktuell passiert ist absurd. Kinder in Schulen nicht über die Geschichte der Homosexualität zu unterrichten ist absurd. Dass es auf der Welt Orte gibt, die immer noch so unfassbar konservativ sind und Menschen dafür bestrafen, offen über ihr Geschlecht und ihre Sexualität zu sprechen, es gibt in so vielen Bereichen noch so viel zu tun. Ich fühle mich sehr privilegiert, dass ich in diesem Land und in Frankreich nicht ins Gefängnis muss, weil ich bin, wer ich bin.“
ÜBER MODERNE QUEERE FAMILIEN
„Das Gute daran, in Kaliforniern ein Elternteil zu sein ist, dass man nie erwarten kann, dass ein Mann und eine Frau in einer Beziehung sind oder dass ein Mann und eine Frau mit einem Kind automatisch dessen Eltern sind. Ich mag es, dass man in seinem Leben nicht alles auf Heteronormativität basiert. Ich mag diese Freiheit. Ich mag es, dass ich nicht das einzige queere Elternteil an meiner Schule bin und ich diese Gemeinschaft mit so vielen queeren Eltern um mich herum habe. Ich fühle mich komplett akzeptiert und normal. Ich habe etwas Angst davor, zurück nach Paris zu ziehen. Wenn ich mit den Schulen dort spreche habe ich das Gefühl, sie sind immer noch etwas hinterher. LA ist im Allgemeinen so inklusiv und unterstützt alle Arten von Familien. Als queere Mutter muss ich mich nicht vielen Herausforderungen stellen. Ich habe großes Glück, dass ich an der kleinen, komplett veganen Schule von Indigo, bei der sich alles um Feminismus und Inklusivität dreht, eine tolle Gemeinschaft gefunden habe. Letztens kam Indigo von der Schule nach Hause und sagte: „Mama, kennst du die drei R?“ Und ich erwiderte: „Was ist das?“ Und er darauf: „Reduzieren, rezyklieren, recyceln.“ Und ich dachte mir nur: ach du meine Güte!“
„Was ich an Kalifornien mag ist, dass man in seinem Leben nicht alles auf Heteronormativität basiert. Ich mag diese Freiheit.“
SCHNELLFRAGERUNDE
Was ist Ihr Soundtrack für den Sommer?
„Indigo und ich haben ein „Good vibes only“-Ritual, das wir jeden Morgen zelebrieren. Wir wachen auf und hören Lieder der Parcels, eine australische Band, die in Berlin ansässig ist. Ihre Musik macht uns richtig glücklich.“
Wo würden Sie Ihren perfekten Sommerurlaub verbringen?
„Costa Rica. Ich liebe den Dschungel. Ich liebe tropischen Regen. Ich liebe die Affen. Ich liebe die Strände. Ich liebe die tropischen Früchte. Ich liebe die Faultiere. Ich liebe einfach alles.“
Was würden Sie im Urlaub lesen?
„Wahrscheinlich irgendein Selbsthilfebuch, wie man ein perfektes Elternteil oder eine tolle Person ist oder einige Herausforderungen meistert. Ich lese gerade ein Buch namens Reclaiming Pleasure. Es ist ein sexpositiver Leitfaden, wie man sexuelle Traumata überwindet und ein leidenschaftliches Leben führt.“
Ihr bester Moment auf einem Sommerfestival?
„Meine schönste Erinnerung an einen Festivalbesuch ist wahrscheinlich ein paar Jahre her, als ich Radiohead, meine Lieblingsband, beim Coachella gesehen habe.“
Wie würden Sie ihren Stil beschreiben?
„Weite Shorts und weite Vintage-T-Shirts. Und Socken in Sandalen.“
Text von Stuart Brumfitt
Fotos von Collier Schorr
Styling von Esther Matilla
VIDEO ANSEHEN
COS präsentiert „And that's okay", ein Gedicht, das Kai-Isaiah Jamal eigens für die Pride-Kollektion geschrieben hat.